Theaterpädagogik

Eine inhaltliche Positionsbestimmung von Udo Reichle-Röber, Therapie-Theater-Reinfeld 

 

 

Der künstlerische Aspekt des Therapie-Theaters - Theater als soziale Kunst

In andere Rollen schlüpfen, Abstand vom Alltag nehmen, mal ausprobieren wie es sich anfühlt, anders zu sein als sonst... All diese Aspekte  machen den Reiz des Theaterspielens aus. Die Stimme versagt, die Hände zittern, Schweißtröpfchen perlen an den Schläfen herunter... Lampenfieber - das ultimative "sich spüren"  für Körper, Geist und Seele zur Freude anderer und zur eigenen Erbauung.

Neun Monate Proben, Texte lernen, Kostüme anpassen, regelmäßig und pünktlich zu den Terminen erscheinen, anmeckern lassen, endlos lange auf den Auftritt warten und in der Rolle zuweilen mit der eigenen Lebensgeschichte auseinandersetzen... Auch das macht den Reiz des Theaterspielens aus. Wenn das ganze dann nicht nur unter künstlerischer Leitung, sondern auch unter therapeutischer Begleitung geschieht, dann ist das Therapie-Theater! Therapie-Theater ist mehr Kunst als Psychodrama und es ist mehr Therapie als Schauspiel auf Laienbühnen.

Das Projekt verfolgt klare methodenorientierte, sozialtherapeutische Aspekte jedoch wird in jeder Inszenierung auch zielorientiert auf ein professionelles Theaterstück hingearbeitet, bei dem auch mal ProtagonistInnen ausgewechselt werden, wenn sie den Ansprüchen ihrer Rolle nicht genügen. Am Anfang steht der Spaß am kreativen und künstlerischen Tun und vor allem an der Selbstdarstellung. Dann kommt viel Arbeit hinzu und am Ende steht der Erfolg, vor Publikum sein Schaffen und Wirken darzustellen und sein eigenes Ich mit Freude, Stolz und Zufriedenheit zu stärken. Die Künstler genießen den Erfolg und manche entwickeln eine Art Sucht nach dem Schauspiel, kommen immer wieder und gehören bald zum Stammensemble. Viele kommen für ein Theaterstück, sammeln Erfahrungen, haben Spaß - dann aber auch genug und sind nur als Gastspieler dabei. 

Die Auseinandersetzung mit der eigenen Rolle ist dabei das spannendste. Wer ist derjenige, den ich verkörpere? Wie fühlt der sich? Was hat er erlebt? Warum ist er so, wie er ist? Welche eigenen Anteile kann ich mit reingeben - und welche nicht? Wie löst die Rollenfigur das Problem, das mich selber auch beschäftigt? Wäre das auch ein Lösungsansatz für mich? Wie fühlt es sich an, mal in eine andere Haut zu schlüpfen, mal ganz lieb zu sein - oder ganz böse? Antworten auf diese und viele andere Fragen gibt es nicht hier im Internet sondern bei uns im Therapie-Theater bei den Proben und den Aufführungen. Kommen Sie doch mal vorbei...

Der sozialtherapeutische Aspekt des Therapie-Theaters

Die Theatertherapie dient uns als Modell ressourcenorientierter Arbeit. Durch den Erhalt, die Förderung und den Ausbau sozialer Kompetenzen und Alltagsbewältigungsstrategien werden im Rahmen des Theaters wichtige Grundlagen geschaffen und gefördert, die für einen selbstbestimmten Lebensalltag notwendig sind. Dazu zählen beispielsweise Zuverlässigkeit, Regelmäßigkeit und Pünktlichkeit. 

Um ein Theaterstück auf die Bühne zu bringen, bedarf es der Einhaltung dieser Attribute jedes einzelnen Teilnehmers, das zuverlässige, rechtzeitige und regelmäßige Erscheinen zu den Proben und die Konzentration auf einen zeitlich abgestimmten Bühnenauftritt. Auf den Lebensalltag übertragen, dient das Einüben dieser Werte unter anderem der Verbesserung von Rehabilitierungschancen auf dem Arbeitsmarkt und der Pflege sozialer Beziehungen.

Ferner dient das Theaterspiel der Förderung zwischenmenschliche Interaktion, dem Abbau von Ängsten und Vorurteilen. Das Theater lebt davon, dass man aufeinander eingeht, Rücksicht nimmt, einander hilft und unterstützt, sowie im ständigen Austausch miteinander steht. Das Theaterspiel bietet jedem die Möglichkeit, persönliche Grenzen zu erfahren und nach Möglichkeit zu erweitern. Jedes Mitglied des Ensembles hat die Möglichkeit, sich in die Gestaltung und Ausführung des jeweiligen Theaterstückes soweit einzubringen, wie es seinen eigenen individuellen Fähigkeiten und Ressourcen entspricht.

Die TeilnehmerInnen sollen ihr Potenzial für Handlungsmöglichkeiten erweitern, ihre Lebens- und Bühnenrollen finden und spielen, Rollenflexibilität ausprobieren und üben sowie in szenischer Intervention durch ästhetische, emotionale, expressive und kommunikative Prozesse Lebensgestaltungsalternativen erproben und üben.

Die Intention des Therapie-Theaters

Wir erstreben eine praktische Verbindung von künstlerischen und sozialtherapeutischen Aktivitäten im Rahmen soziokultureller Gemeinwesenarbeit.

Die Ziele des Therapie-Theaters

  • soziale Integration und Rehabilitation

  • Entwicklung und Förderung sozialer Kompetenz und kreativen Potentials 

  • Förderung individueller Ausdrucksfähigkeit und gesellschaftliche Rollenflexibilität

Die didaktischen und methodischen Aspekte des Therapie-Theaters

Die Theatermaske des Therapie-Theaters vereint die beiden typischen Masken der Komödie und der Tragödie in einem. Wir sind im Leben, wie auf der Bühne sowohl Komödianten als auch Dramatiker. Das kontrastreiche Schwarz-Weiß symbolisiert darüber hinaus die sich ergänzenden Gegensätze von Theater als Therapie und Theater als Kunst - eben Therapie-Theater. Die Gespaltenheit der Maske steht sogleich sinnbildlich für die Gespaltenheit der Welt eines schizophrenen Menschen, das himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt sein eines manisch-depressiven Menschen und nicht zuletzt für die Lebensgestaltung zwischen Therapeuten und Klienten mit all ihren Höhen und Tiefen. Sie symbolisiert ebenfalls den Dualismus unserer Arbeit zwischen Amateurtheater, Theatertherapie und Psychodrama, individualtherapeutischer und sozialtherapeutischer Interaktion und Intervention, sowie prozess- und produktorientierten Ansätzen in unseren Inszenierungen. 

Die Therapeuten (Begleiter, Behandler) und Pädagogen (Erzieher, Lehrende) unterstützen die Ensemblemitglieder durch Leitungs-, künstlerische, organisatorische, vermittelnde und fachliche Kompetenz mit Mitteln der Theater-Pädagogik (Schauspiel-Erziehung) künstlerisch und pädagogisch in ihrer strukturellen Entwicklung. Dies geschieht im Rahmen eines systemisch aufeinanderbezogenen Methodensettings von Stückentwicklung, Inszenierung, Dramaturgie und Aufführung. Die Berücksichtigung psychodramatischer* (Psyche = Seele / Drama = Handlung, Vorgang) Konflikte spielt neben der heilsamen Erschütterung (Katharsis) ebenso eine Rolle in unserer Arbeit, wie die einfache, basale Vermittlung von Lebensfreude durch die Ausübung eines faszinierenden Hobbys.

* Ziel des Psychodramas ist die Aktivierung und Integration von Spontaneität und Kreativität. Konstruktives spontanes Handeln ist zustande gekommen, wenn der Protagonist für eine neue oder bereits bekannte Situation eine neue und angemessene Reaktion findet. (Jakob Levy Moreno)

Ergänzende Aspekte lesen Sie in der Facharbeit "Theater als Therapie" von Michele Suhlmann. (PDF-Datei, 157 kb)

 


Startseite   -   Seitenanfang   -   Impressum